Ein Abend zuhause
Art sitzt allein "zuhause" in seinem kürzlich umdekorierten virtuellen Wohnzimmer. (Tatsächlich wählt sich Art von einem Hotel in New York aus bei einem ISP ein, der Arts virtuelles Heim auf einem Server in San Francisco unterstützt). Die neuen "Gravuren" an den Wohnzimmerwänden kommen von einem Museum in London, dessen Abodienst Arts Kunst automatisch jeden Freitag nachmittag updated.
Diese Szene ist (noch) nicht multi-user, aber sie ist schon multi-developer. Verschiedene Personen haben hier das Wohnzimmer ge'baut' und umdekoriert, und die Kunst an der Wand kommt aus einer weiteren unabhängigen Quelle.
Es klopft an der Tür: Betty und Chuck kommen zu Besuch. Betty klickt ihre Maus an ihrem Tisch in Chicago, und klopft damit an Arts Tür.
Wie 'hört' Arts Laptop in New York hier Bettys 'Klopfen' aus Boston an einer Tür, die in 'Wirklichkeit' in San Francisco ist? Als Art seine Tür öffnet, sieht er draußen zwei Figuren; diese sehen ihn auch, und hinter ihm sein Wohnzimmer; den Klang seiner Stereoanlage, vorher gedämpft, können sie jetzt viel klarer hören. Wie passiert das alles?
Die Figur die Art und Betty als "Chuck" sehen, wurde off-the-shelf bei Avatars 'R' Us gekauft. Betty hat einen speziellen Avatar, den sie selbst gebaut hat, wofür sie den neuen Acme Avatar Builder benutzt hat. Auf ihrer Schulter sitzt etwas gelbes: ihr neuer "Birdbot", der plötzlich losfliegt, in Arts Zimmer herumwirbelt, fröhlich singt und hier und da etwas fallen läßt -- Federn!
Avatare sind unabhängig entwickelte und in die Szene eingefügte Objekte. Dies wirft eine Reihe von Datenintegritätsfragen auf. Wie geschieht dieses Einfügen, und unter wessen Kontrolle?
Es folgt eine angeregte Diskussion. Um einen Diskussionspunkt zu verdeutlichen, malt Art eine Zeichnung auf seine virtuelle Tafel. Sowohl Betty als auch Chuck können sehen was er malt, aber Betty kann das gemalte auch verändern, weil ihr PC die nötige pen-pad Hardware hat, die die whiteboard Applikation voraussetzt.
Das Whiteboard, separat gekauft, ist jetzt ein integraler Bestandteil von Arts Wohnzimmer. Es benötigt Aspekte von Arts System, von denen der Designer des Wohnzimmers nichts wußte, die ihn auch gar nicht interessiert haben. Art, auf der anderen Seite, weiß nicht, ob ein gegebener Besucher ein System haben wird, das die volle Bandbreite der Fähigkeiten der Whiteboard Applikation ausnutzen kann. Wie, wann und wo also werden die einzelnen Systeme die gemeinsamen Fähigkeiten entdecken und verbinden?
Chuck hat sein "Virtual Monopoly" Spiel mitgebracht. Das Spiel hat zwei verschiedene Spielmodi: zusätzlich zum bekannten Spielbrettmodus gibt es noch einen "Eintauchmodus" in dem die Spieler schrumpfen, bis die Häuser und Hotels auf dem Brett lebensgroß wirken.
Woher weiß der Browser, wie weit die Avatare geschrumpft werden müssen, und wie ihr Standpunkt und ihre Bewegungsgeschwindigkeit anzupassen sind? Wenn alternativ das 'Schrumpfen' dadurch realisiert wird, daß die Spieler in eine andere Szene transportiert werden, wie werden dann die Aktionen in dieser Szene auf das Brett in Arts Wohnzimmer repliziert (man stelle sich vor, Arts Frau kommt während des Spiels ins Zimmer, dann sollte sie diese auf dem Brett beobachten können)?
Zwei Tage nach dem denkwürdigen Monopolyspiel entdeckt Art, daß der Birdbot ihm ein Geschenk zurückgelassen hat: ein leuchtend blaues Ei mit hellen gelben Flecken. (Man erinnere sich: Bettys Avatar hat den Birdbot in die Szene gebracht; dieses importierte Objekt hat dann ein neues Objekt erstellt, das in der Szene geblieben ist, nachdem sein Erschaffer diese verlassen hat.) Angeklickt, fängt das Ei an zu zittern, zu wackeln und bricht auf -- heraus schlüpft eine ganze Armee von Kriegern mit Sandalen und geschmückten Helmen, die Drohungen und Beleidigungen auf altgriechisch brüllen während sie mit ihren Streitäxten all die Bilder von den Wänden schlagen.
In der Virtuellen Realität kann der Begriff
"Trojanisches Pferd" seine ganz eigene Bedeutung bekommen...
Wie jede Netzwerkapplikation werden Multi-User
Virtuelle Welten also verläßliche Mechanismen bieten müssen,
um die einzelnen Inhalte vor unangemessenen Manipulationen zu schützen.
Was man an diesem Szenario gut beobachten kann
ist, daß komplexere VRML Umgebungen nicht als einzelne Strukturen
erstellt, sondern ad hoc während ihrer Benutzung zusammengestellt
werden. Solche Umgebungen werden also auf ständige Verhandlungen zwischen
unabhängig entwickelten Softwareobjekten angewiesen sein, von denen
viele erst zur runtime das erste mal aufeinandertreffen. Dies erfordert
eine hohe Flexibilität und Robustheit in der Architektur des Standards,
wie sie im folgenden Kapitel beschrieben ist.